Badische Zeitung vom 11.09.2004 zur ersten Ausstellung von Walter Sturm
Dass die Badische Zeitung WaSt zwei Jahre älter machte, war zu verschmerzen.... |
Vernissage-Rede von Dorothea Offermanns zur 1. Ausstellung von Walter Sturm am 11.09.2004
Ich habe neulich auf Vernissagen geschimpft: wie langweilig sie seien. Da spricht der Galerist, ein Kunstsachverständiger, der Leiter irgend eines Amtes, etc.. Dieser Disput hat mir eingetragen, bei dieser heutigen Vernissage zu reden.
Unter Ihnen sehe ich zwei Malerinnen, ich werde mich also tunlichst zurückhalten, Kluges über die Ausstellung zu sagen, zumal ich ausgewiesenermaßen von Bildender Kunst wenig verstehe. Ich könnte Ihnen natürlich viel vom Leben, dem entbehrungsreichen an der Seite eines Künstlers oder richtiger: in seinem Schatten erzählen, von der dienenden Rolle, dem Zurückstehen hinter der Muse.
Apropos Muse: Wer ist die Dame überhaupt? Jeweilige Ehefrau der Künstler ist sie nicht, sonst hätte Goethe andere Gedichte geschrieben und Kandinsky seiner Nina nicht ein striktes Atelierverbot erteilt. Was geschieht eigentlich in dem Augenblick, in dem die Muse ihre gespitzten Lippen auf die Stirn des Künstlers drückt? Sind es platonische kühle oder heiße Küsse? Was sagen uns die Kunstwerke darüber aus? Gibt es nicht Bilder, die uns den Eindruck vermitteln, der Kuß wäre weiter nach unten gerutscht?
Nun bin ich doch bei den Kunstfragen angekommen. Was ich dazu einbringen kann, ist folgendes Erlebnis:
Ich hatte die Odyssee im Unterricht erzählt, die Kinder malten begleitend die einzelnen Szenen. Es gab viele Schiffe im Sturm mit dicken Zahnpasta-Schaumkronen, Polyphem, der den Felsbrocken wirft, Odysseus zwischen Skylla und Karybdis. Ein nach einigen Jahren verstorbener Junge wählte sich die Landung des Odysseus auf Kimmerien. Er hat Schafe geschlachtet, deren Blut er in den Eingang zum Reich der Toten rinnen läßt, um diese herbeizuziehen. Wenn sie vom Blut genossen haben, können sie mit ihm reden. Wir hatten uns klar gemacht, daß diese Szene ein Bild ist für einen Vorgang, den wir alle kennen: wenn wir lesen, gewinnen die toten Buchstaben erst "Sprechkraft", wenn wir unser eigenes Herzblut mit ihnen verbinden, wenn wir es an den toten Text hingeben. Ein gleiches gilt von jeder Betrachtung eines Kunstwerkes. Der in jungen Jahren verstorbene Schüler hatte die Szene in grauen Tönen gehalten, Schattengestalten schwebten grau um den Eingang zur Unterwelt, die Schafe fehlten, das Opferblut fehlte, die einzige Farbe im Bild ist ein leuchtendes Rot: Das Gewand des Odysseus.
Und nun möchte ich Ihnen jetzt für das Betrachten der Bilder wünschen: mögen Sie so stark leuchtendes Seelenrot den Bildern gegenüber entwickeln, daß diese wie weiland der Schatten vor Odysseus zu Ihnen zu sprechen beginnen.
Das Bild des verstorbenen Jungen habe ich mitgebracht, Sie können es dort auf dem Tisch ansehen.
Bild des früh verstorbenen Jungen |
Vernissage-Rede von Dorothea Offermanns zur Gemeinschaftsausstellung von Rosemarie Dycker- hoff, Paul Pollock und Walter Sturm am 04.02.2005 im MORAT-INSTITUT FÜR KUNST UND KUNSTWISSENSCHAFT in Freiburg
Da ich schon des öfteren auf Vernissagen mir im Unklaren war, wer der Künstler unter den Anwesenden sei und wer die Laudatio hielt, möchte ich Ihnen als erstes die Künstler vorstellen: die Plastikerin Rosemarie Dyckerhoff dort, hier Paul Pollock und hier Walter Sturm; an der Wand die Bilder von Walter Wohlschlegel aus der Sammlung Sturm. Walter Sturm ist Schüler von Paul Pollock und hat diesen mit dem Werk von Walter Wohlschlegel und Rosemarie Dyckerhoff bekannt gemacht. So sind die vier hier ausgestellten Künstler durch persönliche Wertschätzung und durch die Achtung vor dem individuellen Weg des jeweils anderen verbunden.
Und ich bin Dorothea Offermanns, mit Walter Sturm verheiratet und von den drei Künstlern gebeten worden, einzuleiten. Eine Laudatio wird es also nicht, zumal ich in Bezug auf die Bildenden Künste blutiger Laie bin. Meine Domäne ist mehr die Welt des Klanges, der Klangfarbe, der Bewegung, also die der Musik und des Wortes. Deshalb habe ich mich umgetan und gesucht, wer mir die richtigen Worte in den Mund legen könnte. Und siehe da, ich habe jemanden gefunden, der heute sogar anwesend ist - dort bei der Gruppe der Plastiken steht er (deutet auf das nachstehende Bronceportrait von Rosemarie Dyckerhoff)
Porträt Reiner Kunze, 1988-92
Bronze, 46 x 31 x 34 cm
Werkverzeichnis Nr. 246
1992, 15. August
Mit einem Bronzekopf der Bildhauerin Rosemarie Sack-Dyckerhoff aus
Freiburg zurückgekehrt. Um dem Verdacht zu entgehen, ein Plastik auf-
gestellt zu haben, w e i l einer von uns ihr Gegenstand ist, hatten wir
jahrelang eine Bronze der Münchner Bildhauerin Chrysille Schmitthenner
in einem Schrank verborgen gehalten und uns so um das Zusammenleben
mit einem K u n s t w e r k gebracht. Dem Sack-Dyckerhoffschen Kopf wird
die Dunkelhaft erspart bleiben.
Reiner Kunze:
Am Sonnenhang, Tagebuch eines Jahres
Aus Rosemarie Dyckerhoff: Das plastische Werk (1996)
Als Laien interessiert mich vor allem die Haltung des Betrachters vor einem Bild. Es gibt so viele falsche Haltungen, die uns den Zugang zum Bild verstellen, zum Beispiel Oberflächlichkeit oder falsche Erwartung. Reiner Kunze, eine Dichterpersönlichkeit, die sich viele Gedanken zur Kunst gemacht hat und sie sehr genau in Worte faßt:
Reiner Kunze: DEN LITERATURBETRIEB FLIEHEND
Sie wollen nicht deinen flug, sie wollen die federn
Dann die falschen Voraussetzungen bei der Kunstbetrachtung, die mangelnde Offenheit, die durch Überzeugungen entsteht, die sich als Mauer des Vorurteils vor das Kunstwerk stellen.
Reiner Kunze: DAS ENDE DER KUNST
Du darfst nicht, sagt die eule zum auerhahn,
du darfst nicht die sonne besingen
Die sonne ist nicht wichtig
Der auerhahn nahm
die sonne aus seinem gedicht
Du bist ein künstler
sagte die eule zum auerhahn
und es war schön finster
Dann der absolute Maßstab, den wir gerne unhinterfragt an ein Kunstwerk anlegen, obgleich wir die eigenen Unvollkommenheiten durchaus zu tolerieren in der Lage sind.
Reiner Kunze: UNPOPULÄRES GEDICHT
Jeder von uns besteht darauf, daß er
er selbst sein darf
Und alle sind wir unvollkommen
Beim Kunstwerk aber verbitten wir uns, daß es
es selbst ist
Und vielleicht ist es vollkommen
Wie komme ich nun zum richtigen, das heißt produktiven Blick auf das Kunstwerk? Ich muß vielleicht erst einmal von mir absehen, nichts mitbringen, und wenn das Kunstwerk mir verschlossen bleibt, mich auf den Weg zu ihm hin machen, überhaupt erst zu einer Frage finden, die wirklich meine ureigenste ist. Wie ein Blinder mit einem Stock tastet, müssen meine Augen das Bild vielleicht erst abtasten, ergreifen, um zu erkennen.
Reiner Kunze: POETIK
So viele antworten gibt's.
doch wir wissen nicht zu fragen
Das gedicht
ist der blindenstock des dichters
Mit ihm berührt er die dinge,
um sie zu erkennen
Wo und wie aber entsteht die Frage? Sie entsteht an einem Ort, an dem der Befragte als Ebenbürtiger dem Fragenden gegenübersteht und entsteht in mir, dem fragend Betrachtenden, indem ich in mir einen Nachschaffensprozeß in Gang setze, der den im Bild geronnenen Schöpfungsprozeß wieder verflüssigt. Wenn das gelingt, erfahren wir etwas von der geistig-seelischen Dimension eines künstlerischen Schöpfungsaktes.
Reiner Kunze: VON DER INSPIRATION
Nur ein anfänger von engel
fliegt unterhalb der wolken
noch ist er in sich selbst
nicht weit genug entfernt vom menschen)
Wenn deine stirn ein flügel streift,
ist's einer von ihnen,
und du stehst am anfang
wie er
Wer bis hierher gelangt, erlebt als Betrachter über das einzelne Kunstwerk hinaus die grandiose Tatsache, daß der Mensch nicht nur gebundenes Geschöpf ist, sondern in Glücksmomenten Schöpfer sein kann.
Und nun wünsche ich Ihnen beim Anschauen der Bilder viel schöpferische Freude.
Dorothea Offermanns